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„Es ist wichtig, über den Verlust der Brust zu sprechen“

Regina Wiedemann hat die brustprothetische Versorgung von Frauen untersucht. Uns erzählt sie, was sie aus den Gesprächen mitnahm.

Regina Wiedemann

Regina Wiedemann ist Pflegewissenschaftlerin. In ihrer Doktorarbeit hat sie untersucht, wie es in Deutschland um die brustprothetische Versorgung von Frauen nach einer Mastektomie bestellt ist. In Teil 1 des Interviews ging es um die Sicht der betroffenen Frauen. Welche Erwartungen haben sie an ihre Brustprothese und was hilft ihnen, den Verlust ihrer Brust nach Brustkrebs zu bewältigen? Nun wird es persönlich. Im zweiten Teil unseres Gesprächs fragen wir Regina Wiedemann, was sie persönlich aus ihrer Arbeit und den Begegnungen mit den Frauen mitgenommen hat und wie sich die brustprothetische Versorgung verbessern ließe.


Teil 2: Die Wissenschaftlerin


Redaktion: Wie kamen Sie persönlich dazu, sich mit dem Thema brustprothetische Versorgung zu beschäftigen?

Regina Wiedemann: Ich bin gelernte Krankenschwester und habe zwanzig Jahre im Krankenhaus gearbeitet – zunächst als OP-Schwester in der Gynäkologie, später war ich am Aufbau eines der ersten Brustzentren in Nordrhein-Westfalen beteiligt. Mit 40 entschied ich mich dann, parallel noch mal zu studieren. Nach meinen klinischen Erfahrungen mit an Brustkrebs erkrankten Frauen war es naheliegend, diesen Schwerpunkt auch im Studium zu setzen – und zu der Versorgung mit Brustprothesen gab es bislang tatsächlich kaum wissenschaftliche Untersuchungen. Diese Lücke wollte ich schließen.

Haben Sie die Ergebnisse Ihrer Interviews überrascht?

Ja. Dass die langfristige brustprothetische Versorgung durch den Sanitätsfachhandel ein eigenständiger Markt ist, war mit bewusst. Dass es zwischen den einzelnen Fachgeschäften aber derart große Unterschiede hinsichtlich der Versorgungsqualität gibt, hätte ich nicht erwartet. Ebenso wenig, dass das Aussehen der Brustprothese in der Erstversorgung für die Frauen eine so geringe Bedeutung hat. Außerdem war ich überrascht, wie schlecht sie teilweise informiert waren.

 

Bilder von Mastektomie-Narben können auf die Zeit danach vorbereiten


Haben Sie einen Vorschlag, wie Ärzte die Frauen besser auf die Zeit nach der Brustkrebstherapie vorbereiten können?

Lassen die Frauen ihre Brust wiederaufbauen, zeigen die Ärzte ihnen oft Bilder der operativen Verfahren, informieren sie über die unterschiedlichen Implantate und lassen sie diese auch anfassen. Einen ähnlichen Standard brauchen wir auch bei der Mastektomie und beim Brustausgleich mit Prothesen.

Wie meinen Sie das?

Wir sollten den Frauen Bilder von Mastektomie-Narben zeigen, ihnen erklären, dass nach dem Eingriff Silikon-Brustprothesen für den Ausgleich zur Verfügung stehen, und ihnen auch mal eine in die Hand geben. Genauso wichtig ist es aber, über den Verlust der Brust zu sprechen.

Wer sollte diese Rolle Ihrer Meinung nach übernehmen?

Diese Aufgabe kann von Pflegeexpertinnen, den sogenannten Breast Care Nurses (siehe Beitrag Ein Tag im Leben einer Breast Care Nurse) übernommen werden. Sie arbeiten im Brustzentrum, bauen in der akuten Krankheitsphase Vertrauen zu den Patientinnen auf, thematisieren den Brustverlust, und organisieren die Erstversorgung mit einer Prothese. Im Verlauf der weiteren Behandlung könnten sie mit den Frauen auch deren Vorstellung weiblicher Identität reflektieren und ihnen verlässliche Informationen über eine optimale brustprothetische Versorgung geben.

 

„Schönheit kommt von innen“


Das klingt mehr als nachvollziehbar.

Das ist so wichtig, weil es den Frauen helfen würde, die Krankheit zu bewältigen und ihren veränderten Körper anzunehmen. Auf dieser Grundlage können sie dann auch besser entscheiden, ob sie ihre Brust nach der Mastektomie wiederaufbauen lassen möchten oder eine Brustprothese tragen wollen.

Was haben Sie persönlich aus den Begegnungen mitgenommen?

Dazu lese ich ein Zitat vor, das ich meiner Dissertation vorangestellt habe: „Schönheit hat nichts mit einem perfekten Äußeren zu tun. Schönheit kommt von innen. Schönheit hat etwas mit Wahrhaftigkeit zu tun. Mit Hinsehen. Mit Akzeptanz. Mit Toleranz. Schön ist, was wahr ist.“* Diese Wahrhaftigkeit und Schönheit habe ich bei allen Frauen, mit denen ich gesprochen habe, gespürt. Und dafür, dass sie mich so nah an sich herangelassen, mir so sehr vertraut und all ihre Erfahrungen mit mir geteilt haben, bin ich wirklich dankbar.

 

* Dieses Zitat stammt von Eva Schumacher-Wulf, Chefredakteurin des Mamma Mia! Brustkrebsmagazin.


26. September 2018

Foto: Annette Hauptmann Fotografie, Witten