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„Es ist meine Situation, meine Erkrankung, mein Krebs“

Im April wurde bei Sandra Lotz Brustkrebs diagnostiziert. Warum sie begann, mit dem Knoten in ihrer Brust zu sprechen, erzählt sie im Interview.

Im April 2017 wurde bei Sandra Lotz Brustkrebs diagnostiziert. Wenig später folgten brusterhaltende Operation und Bestrahlung. Warum die 37-Jährige begann, mit dem Knoten in ihrer Brust zu sprechen und wie die Krankheit sie verändert hat, erzählt sie uns im Interview.


Redaktion: In deinem Blog „Goodbye Knötchen“ schreibst du, dein Knoten sei für dich kein „Arschloch“ gewesen und dass du den Krebs nicht mit Sprüchen wie „Fuck you cancer“ bekämpfen wolltest. Wieso?

Für die meisten Frauen mit Brustkrebs ist der Tumor ein Fremdkörper. Sprüche wie „Fuck you cancer“ helfen ihnen, die Therapie durchzuhalten. So machen sie sich Mut. Natürlich wollte ich den Krebs auch so schnell wie möglich loswerden. Allerdings habe ich ihn als etwas wahrgenommen, das nun mal in mir gewachsen ist, und damit auch ein Teil von mir war – und mich selbst kann und wollte ich nicht bekämpfen. Begriffe wie „bezwingen“ oder „bekämpfen“ suggerieren außerdem, dass man die Krankheit besiegen kann, wenn man nur stark genug ist.

Was unterschwellig enormen Druck aufbaut.

Wenn die Krankheit negativ verlaufen sollte, dann wäre ich demzufolge selbst schuld. Für mich hat es sich jedenfalls so angefühlt. Vielleicht auch, weil ich mein ganzes Leben lang sehr leistungsorientiert war. Ich war ganz sicher nicht dankbar für den Krebs, aber eines stimmt: Durch die Krankheit wurde mir klar, dass meine bisherige Art zu leben eigentlich gar nicht zu mir passt.


Den eigenen Ängsten Raum geben

 

Kannst du das genauer erklären?

Ich habe nach der Ausbildung BWL studiert und dann eine typische Banker-Karriere hingelegt. Bereits vor der Diagnose spürte ich, dass mich diese Arbeit nicht mehr erfüllt. Nebenbei habe ich deshalb eine Coaching-Ausbildung gemacht. Trotzdem blieb ich in meinem alten Job – vielleicht aus Angst, vielleicht weil ich nicht wusste, was genau ich eigentlich suchte. Mit der Erkrankung wurde mir plötzlich klar, dass ich nicht immer funktionieren muss, dass es in Ordnung ist, auch mal schwach zu sein und dass es keinen Sinn macht, sein Leben von vorne bis hinten durchzuplanen.

Das hört sich ziemlich abgeklärt an.

Vielleicht aus heutiger Sicht. Damals, als die Diagnose feststand, hatte ich nur eines: Todesangst. Ich habe geweint und geschrien. Plötzlich verliert alles seine Bedeutung. Und dann noch all die fraglos gut gemeinten Ratschläge. Am schlimmsten fand ich: „Du musst jetzt positiv denken.“

Was ist daran falsch?

Da sind wir wieder beim Thema Perspektive: Diese Situation ist meine Situation, es ist meine Erkrankung, mein Krebs. Allgemeinplätze bieten meinen ganz persönlichen Ängsten nicht den passenden Raum. Wahre Stärke entsteht nur, wenn man auch Schwäche zulassen kann. Da ist Zwangsoptimismus eher hinderlich. Ich glaube, viele, die mir sagten: „Das wird schon wieder“, wollten damit unbewusst ihre eigenen Sorgen, vielleicht auch Unsicherheiten wegschieben. Ich brauchte in dieser Zeit jedoch einfach nur eine Schulter, an die ich mich anlehnen und an der ich mich ausheulen konnte.

Gar nicht so einfach, zu schweigen und den anderen einfach nur in den Arm zu nehmen.

Dazu brauchst du als Gegenüber eine Menge Kraft und Mut. Das musst du aushalten können. Meine Familie und meine beste Freundin hatten das. Sie haben mir in dieser Zeit sehr geholfen. Über diese Problematik habe ich übrigens auch in meinem Blog geschrieben. Und da viele meiner Freunde den lesen, haben sie schnell verstanden, dass in einer solchen Situation gut gemeint nicht immer gleichbedeutend ist mit gut gemacht.


Die Krankheit annehmen und das Leben neu sortieren

 

Wann hast du angefangen, mit dem Knoten in deiner Brust zu sprechen?

Tatsächlich schon, bevor ich wusste, dass er bösartig ist. Als meine Gynäkologin im Dezember 2016 den Knubbel entdeckte, habe ich mir erst mal keine großen Sorgen gemacht. Ich war schließlich erst 36 Jahre alt und fühlte mich kerngesund. Außerdem wusste ich, dass die meisten Knoten gutartig sind und sich als harmlose Erkrankung entpuppen. Bis die ganzen Kontrolluntersuchungen dann vorbei waren und feststand, dass doch eine Biopsie gemacht werden muss, vergingen mehr als drei Monate – und je länger es dauerte, desto nervöser wurde ich. In dieser Zeit begann ich, mit dem Knoten zu reden, fragte ihn, was er hier tut und warum er immer noch da ist.

In deinem Blog sprichst du mitunter recht liebevoll zu deinem „Knötchen“. Hast du es auch mal angeschrien?

Nein. Ich habe mit ihm geweint, manchmal auch mit ihm geschimpft, wirklich laut geworden bin ich aber nie.

Auch nicht, nachdem die Ärzte dir sagten, dass nachoperiert werden muss?

Nein. Ich hatte die Krankheit angenommen. Was nichts mit Aufgeben zu tun hatte, ganz im Gegenteil: Ich wollte mein Leben nun erst recht neu sortieren. Ich wollte die Erkrankung als Möglichkeit zur Veränderung begreifen und diese Chance nutzen. Ich spreche übrigens liebevoll von Knötchen, da für mich persönlich die Diagnose eine tiefe Lern- und Lebenserfahrung war, für die ich dann wiederum doch dankbar bin. Wer weiß, wann und wie intensiv ich ohne ihn begriffen hätte, dass ich so nicht weiterleben will. Ich schaue mittlerweile anders auf die Welt, lebe achtsamer und bewusster.

Das heißt, du hast deinen Job gekündigt?

Ja – und zwar ohne einen genauen Plan zu haben, wie es weitergeht. Mittlerweile habe ich mich als Coach selbstständig gemacht und arbeite an meinem ersten Buch. Außerdem werde ich ab März eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin machen. Mal sehen, was genau es am Ende wird. Vielleicht mache ich auch von allem etwas.


Die Angst vor dem Rezidiv bleibt

 

Klingt ziemlich gesund: Aus der perfekt organisierten Karrierefrau hin zu einer Frau, die sich ihren eigenen Raum schafft.

Und das genieße ich tatsächlich. Obwohl mir heute ein Teil meiner Brust fehlt, die Hämatome nach wie vor schmerzen und ich nicht mal sicher bin, wie sich ab 2018 meine finanzielle Situation gestalten wird, bin ich glücklich.

Vermisst du das Knötchen manchmal?

Nein (lacht). Durch die wiederkehrenden Kontrolluntersuchungen, die Angst vor einem Rezidiv, bleibt der Brustkrebs – obwohl ich ihn jetzt erst einmal überstanden habe – dennoch präsent. Ich stelle mir das Knötchen deshalb vor, wie es auf einer Wolke sitzt und auf mich runterschaut. Aber da soll es bitte auch bleiben.


5. Februar 2018

Foto: privat