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„Bewegung ist ein natürlicher Stimmungsaufheller“

Sport kann die Überlebensrate von Brustkrebs-Patientinnen positiv beeinflussen. Ein Interview.

Regelmäßiges Walken und Joggen können Studien zufolge die Überlebensrate von Brustkrebs-Patientinnen positiv beeinflussen. Warum das so ist, und worauf Sie bei körperlicher Belastung achten sollten, darüber sprachen wir mit Freerk Baumann, Sportwissenschaftler am Centrum für Integrierte Onkologie (CIO Köln/Bonn) der Uniklinik Köln. 


Redaktion: „Sport bei Krebs: So wichtig wie ein Medikament“ heißt es im Onko-Internetportal der Deutschen Krebsgesellschaft. Ist das nicht etwas übertrieben?

Freerk Baumann: Überhaupt nicht. Dass Bewegung die Nebenwirkungen von Chemo- und Antihormontherapie gezielt reduzieren kann, ist wissenschaftlich gut belegt. Den Begriff „Sport“ würde ich jedoch durch „körperliche Aktivität“ oder besser „Bewegungstherapie“ ersetzen.

Treppensteigen, Rasenmähen und Spazierengehen sind für Frauen mit Brustkrebs also genauso wertvoll wie Walken oder Radfahren.

Absolut. Wichtig ist, dass die Betroffenen sich nicht zurückziehen, sondern weiter ihren Alltagsaktivitäten nachgehen. Die Bewegungstherapie ist sehr effektiv, sollte jedoch immer nur als eine Ergänzung zur medizinischen Behandlung verstanden werden – und sie muss richtig dosiert werden.

Nebenwirkungen sind also nicht ausgeschlossen.

Richtig. Bei der Fatigue, der starken Erschöpfung, die viele Patienten nach der Chemotherapie überfällt, entscheidet beispielsweise nicht die Art der Bewegung über den Erfolg, sondern die Intensität. Powere ich mich zu stark aus, kommt es unter Umständen zum sogenannten Rebound-Effekt – das heißt die Müdigkeit nimmt zu. Bei leichter Fatigue braucht es deshalb eine moderate bis intensive Belastung. Bei einer schweren Fatigue reichen erst mal leichte Aktivitäten. Beispielsweise fünf bis zehn Minuten leichtes Walken, Pause, erneut fünf bis zehn Minuten Walken.


Vibrationsplatten lindern das Kribbeln in Händen und Füßen


Für eine Frau, die vor der Erkrankung regelmäßig Sport getrieben hat, bedeutet leichtes Joggen vermutlich etwas anderes als für eine, die sich nie viel bewegt hat.

Deswegen bringen allgemeine Empfehlungen auch nichts. Die Trainingspläne müssen immer individuell an die Bedürfnisse der Patientin angepasst werden.

Laut einer Studie des Berkeley Lab, Kalifornien, können Walken und insbesondere Joggen die Überlebensrate von Brustkrebs-Patientinnen deutlich erhöhen.

Gezieltes Krafttraining kann den Frauen ebenso helfen – wenn nicht sogar mehr. Damit will ich nicht sagen, dass die Studie falsch ist. Die Wirkung von Ausdauersport wird nur schon viel länger untersucht. Das Thema Krafttraining ist in der Krebsforschung hingegen noch Neuland. Fest steht: Joggen und Walken können den Betroffenen nachweislich helfen, sie sind jedoch nicht die einzigen empfehlenswerten Trainingsformen.

Welche anderen Therapieformen gibt es?

Etwa Vibrationsplatten. Die Chemotherapie kann Nerven schädigen. Passiert das, entsteht eine sogenannte Polyneuropathie: Hände und Füße fangen an zu kribbeln, manchmal werden die Finger taub. Wir vermuten, dass das sensomotorische Training auf der Vibrationsplatte die zerrstörte Myelinschicht der Nerven stimuliert und sie zur Regeneration anregt. Ebenfalls empfehlenswert ist Schwimmen: Wasserdruck und Muskelkontraktionen drücken auf das Gewebe, regen den Transport der Lymphflüssigkeit an und therapieren damit sekundäre Lymphödeme. Während der Bestrahlung sollten die Frauen jedoch aufs Schwimmen verzichten.

Warum das?

Die Haut wird durch die Strahlung angegriffen, sie rötet und es entstehen mikroskopisch kleine Risse. Hierdurch steigt die Infektionsgefahr – vor allem durch Keime in der Umkleidekabine. Das Wasser ist ja gechlort.


Bewegung senkt den Östrogenspiegel im Blut


Stimmt es, dass regelmäßige Bewegung das Rezidivrisiko, also das Risiko neue Metastasen zu entwickeln, senkt?

Vermutlich. Bei den Untersuchungen hierzu handelt es sich jedoch um Beobachtungsstudien. Das heißt, sie sind nicht „sauber“. Um den tertiärpräventiven Effekt zu belegen, haben unter anderem Forscher in Kanada nun die Challenge Studie gestartet – eine randomisiert kontrollierte Studie. Die Ergebnisse liegen noch nicht vor, ich bin mir jedoch sicher, dass sie den Effekt belegen.

Warum haben körperliche Aktivitäten einen derart unmittelbaren Einfluss auf Krebserkrankungen?

Wissenschaftler vermuten, dass Bewegung Reparaturmechanismen der Erbsubstanz verbessert, den Insulinspiegel senkt und die Menge entzündlicher Botenstoffe reduziert. Das alles sind jedoch Theorien. Die genauen Mechanismen, wie sich Bewegung auf den Krebs auswirken, sind noch nicht entschlüsselt. Sicher ist jedoch: Bewegung ist ein natürlicher Stimmungsaufheller.

Vergleichbar mit der Wirkung schwacher Drogen?

Grundsätzlich ja. Durch die Bewegung schüttet unser Körper die Glückshormone Serotonin und Dopamin verstärkt aus, baut Stress ab und dämpft die Angst. Sich regelmäßig zu bewegen ist also nicht nur gut für den Körper, sondern auch für die Psyche.

Wie finden Frauen heraus, welche Form der körperlichen Aktivität die richtige für sie ist?

In der Regel im Gespräch mit ihrem Arzt oder auch dem Bewegungstherapeuten.

Erstatten die Krankenkassen die Kosten für die Bewegungstherapie? 

Stationär ja. In der ambulanten Akutversorgung in der Regel nicht. Einzige Ausnahme ist bislang die AOK Rheinland/Hamburg.

Woran liegt das, wenn der Nutzen doch belegt ist? 

Als Forschungszweig ist die Bewegungstherapie noch recht jung. In den aktuellen S3-Behandlungsleitlinien kommt sie daher nur am Rande vor. Diese werden jedoch gerade aktualisiert. Sind die erst einmal verabschiedet, kommt auch der körperlichen Aktivität mehr Bedeutung zu. Dann werden die Krankenkassen ihre Meinung sicher ändern.

 

Zur Person

Freerk Baumann
Freerk T. Baumann, Jahrgang 1975, ist studierter Sportwissenschaftler und arbeitet am Centrum für Integrierte Onkologie (CIO Köln/Bonn). Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist der Zusammenhang von Bewegung, Sport und Krebs. Für das Projekt „Über den Berg – Krebspatienten wandern in ihr neues Leben“ wurde er mit dem Helmut-Wölte-Preis für Psychoonkologie 2009 und mit dem Pulsus Gesundheitspreis 2010 ausgezeichnet.

 21. Juli 2017

Foto: Michael Wodak / MedizinFotoKöln